Am frühen Morgen des 20. Oktobers blinzelt die Sonne durch lichte Nebelschwaden. Goldenes Herbstwetter kündigt sich an. Am Segelfluggelände Kirchzarten neigt sich die Flugsaison dem Ende zu. Traditionell messen sich die Pilotinnen und Piloten des Breisgauvereins für Segelflug e.V. am letzten Wochenende der Saison im Ziellanden.
Rund 30 Teilnehmende finden sich am Morgen vor dem Clubheim ein. Die Blicke richten sich auf den Sicherheitsstreifen am Landefeld. Wo in kürze Segelflugzeuge anrollen sollen, grast in Seelenruhe eine Herde schwarzbrauner Rinder. Ein paar freiwillige Cowboys informieren den Bauern, der mit dem Traktor anrückt. Gemeinsam bewegen sie die gemächlichen Wiederkäuer auf eine benachbarte Wiese.
Die übrigen Vereinsmitglieder befreien währenddessen die Segelflugzeuge aus ihren Überzügen und bereiten alles für den Flugbetrieb vor. Am Ende der Flugsaison sind die Autos müde. Der Mercedes lässt sich zunächst in der Sonne auf Betriebstemperatur bringen und auch der Lepo springt erst an, als ein paar Helfer den Start mit Muskelkraft unterstützen.
Als die Vorbereitungen getroffen sind, trommelt Sven Lissel die Runde zu einem Briefing zusammen. Er organisiert das Spektakel in diesem Jahr und erläutert noch einmal für alle die Regeln: Jeder Teilnehmende hat genau eine Chance durch eine präzise Landung Punkte zu sammeln. Sägespäne teilen das 250 Meter lange Landefeld in zehn Regionen. Setzt ein Pilot oder eine Pilotin mit dem Hauptrad in den ersten zweieinhalb Metern auf, erreicht er oder sie die volle Punktzahl von 100 Punkten. Das folgende, fünf Meter lange Wertungsfeld gibt 90 Punkte. Je weiter hinten eine Landung erfolgt, desto breiter sind die Abschnitte und desto weniger Punkte gibt es zu gewinnen. Setzen Teilnehmende vor dem Landefeld auf, bekommen sie null Punkte.
Auch Flugschüler und Flugschülerinnen dürfen am Wettbewerb teilnehmen. Allerdings zählen nur die Versuche, die sie ganz ohne Hilfe des Fluglehrers bestreiten. Der Ehrgeiz ist geweckt. Scherzend ermahnt ein älterer Pilot die Runde, dass nur Landungen zählen – Einschläge würden nicht gewertet.
In der Zwischenzeit hat sich eine schwere Nebelwolke über den Flugplatz gewalzt und die in etwa einem Kilometer entfernte Winde gänzlich verschwinden lassen. Der graue Schleier verwehrt die für den Segelflug notwendige Fernsicht und zwingt zu einer Kaffeepause im Clubheim.
Nach einer Stunde hat sich die Herbstsonne den Flugplatz zurückgeholt. Frisch gestärkt stapfen die Segelflieger und Segelfliegerinnen an den Start. Der Wanderpokal, den ein Greifvogel ziert, thront im Startbus und beobachtet das Geschehen. Der erste Pilot legt den Fallschirm an und prüft seine Sicherheitscheckliste. Schließlich blinkt die Winde und zieht das Seil straff. Der Flieger hebt sich in die Luft.
An der Seite des Landefelds bringen sich die Linienrichter und Linienrichterinnen in Stellung. Einige sind mit Kameras bewaffnet. Mit 60 bis 80 km/h setzen die Flugzeuge auf und lassen die Sägespäne beim Ausrollen über die Wiese tanzen. Angeregt diskutieren die Linienrichter und Linienrichterinnen, wo genau das Hauptrad des Flugzeugs nun aufgesetzt ist. Im Zweifelsfall wird auch mal ein Videobeweis in Slow Motion herangezogen.
Die anwesenden jungen Scheinpiloten und Scheinpilotinnen nehmen die Regeln sehr genau. Damit Fluglehrer keinen Vorteil haben, müssen sie für ihre eigene Wertung den Flugzeugtyp wechseln. So setzt sich Nils Wiegmann, einer der erfahrensten Piloten, nach schätzungsweise 20 Jahren wieder in ein Flugzeug des Typs Ka8.
Nach einem kompletten Durchgang ist Wiegmann trotz des Flugzeugwechsels unter einen der drei Piloten mit führenden 90 Punkten. Für das Stechen versammeln sich alle um das Landefeld. Jetzt werden die Meter ganz genau gemessen. Wiegmann ist der Erste. Er schwebt schon etliche Meter vor dem Landefeld ganz tief und langsam über den Boden. Ob er sich bis zum Landefeld noch halten kann? Gekonnt überquert er die Linie und zieht das Flugzeug nach genau zweieinhalb Metern auf den Boden. Die anderen zwei Piloten müssen jetzt nachlegen. Der Flugschüler Dennis Austel geht auf Risiko und landet bereits einige Meter vor dem Landefeld. Ob der Vorjahressieger Norbert Weinhold die starke Vorlage noch knacken kann? Der letzte Start des Tages. Weinhold kommt in Begleitung der Abendsonne tief herangesegelt. Gespannt richten sich alle Augen auf das Flugzeug. Der Anflug sieht gut aus, es wird knapp. Die ersten Grashalme kitzeln den Sporn am Ende des Flugzeugs, dann setzt das Hauptrad auf. Zu spät! Weinhold landet nach acht Metern. Eine beachtliche Leistung und trotzdem ein paar Meter zu viel. Der diesjährige Sieger steht fest!
Nach dem Aufräumen versammeln sich die Vereinsmitglieder im Clubheim. Die ersten zehn Plätze werden feierlich mit Urkunden geehrt. Lissel überreicht Wiegmann den Wanderpokal. Vergnügt stoßen die Vereinsmitglieder mit neuem Süßen an, die knurrenden Mägen füllt frischer Zwiebelkuchen.
Der darauffolgende Tag ist der letzte Tag der Flugsaison in Kirchzarten. Im Winter können die Segelflieger und Segelfliegerinnen in der Region ausschließlich durch den wesentlich teureren Flugzeugschlepp in Freiburg starten. Ende April wird eine neue Saison beginnen, im Herbst wird es sicher wieder einen Ziellandewettbewerb geben!